Vorbemerkung
Heinrich
Heine verfasste das Gedicht “Erinnerungen aus Krähwinkels Schreckenstagen” im
Jahre 1854, also gerade einmal knappe sechs Jahre nach der gescheiterten
deutschen Revolution von 1848. Inhaltlich wie stilistisch ist es
kurz gesagt eine persiflierende Imitation der in der vordigitalen Zeit
geläufigen “Bekanntmachungen” durch kommunale Behörden und Körperschaften, die
sich vor allem in Krisenzeiten zwecks Kontrolle und Manipulation von Bürgern,
die man zu Zeiten noch als Untergebene ansah, einsetzen ließen und lassen. Sie
gibt in äußerst gestraffter lyrischer Form sowohl eine Rechtfertigung für den
Beginn der Revolution als auch eine Begründung für ihr Scheitern, von dem neben
anderen auch Heine zutiefst überzeugt war.
Strophe 1
Wir
Bürgermeister und Senat,
Wir haben folgendes Mandat
Stadtväterlichst an alle Klassen
Der treuen Bürgerschaft erlassen
Wir haben folgendes Mandat
Stadtväterlichst an alle Klassen
Der treuen Bürgerschaft erlassen
Die
erste Strophe kann vom heutigen Standpunkt aus als eine Art Präambel betrachtet
werden. Unmissverständlich und sehr von oben herab den Plural majestatis (“Wir”) benutzend, wenden sich Exekutive (“Bürgermeister”)
und Legislative (“Senat”),
denen Heine die Rolle des lyrischen Sprechers zukommen lässt, mit einem Gesetz
(“Mandat”) an die ständisch strukturierte Bürgerschaft (“alle Klassen”), wenn sie denn “treu”,
d.h. der Obrigkeit zugetan, ist. Konsequenterweise schließt diese
Qualifizierung bereits alle oppositionellen Kräfte aus dem vorliegenden Erlass
aus, weil diese im Sinne der Obrigkeit bereits als verloren gelten müssen.
Schlaglichtartig beleuchtet wird hier natürlich die Qualität der damaligen
vor-demokratischen Verhältnisse, wenn Regierung und Parlament gemeinsam eine
Verlautbarung herausgeben. Und es kommt noch schlimmer, weil beide zusammen
auch weite Teile der judikativen Gewalt übernehmen:
Strophe 2/3
Ausländer,
Fremde, sind es meist
Die unter uns gesät den Geist
Der Rebellion. Dergleichen Sünder,
Gottlob! sind selten Landeskinder.
Die unter uns gesät den Geist
Der Rebellion. Dergleichen Sünder,
Gottlob! sind selten Landeskinder.
Auch
Gottesleugner sind es meist;
Wer sich von seinem Gotte reißt,
Wird endlich auch abtrünnig werden
Von seinen irdischen Behörden.
Wer sich von seinem Gotte reißt,
Wird endlich auch abtrünnig werden
Von seinen irdischen Behörden.
In
diesen beiden Strophen versucht die Obrigkeit nämlich eine Art Beweisführung
und möchte die Verursacher der “Rebellion” festmachen. Es sind ihrer Logik
folgend “Ausländer” und “Fremde”, weil “Landeskinder”, im heutigen
Sprachgebrauch vielleicht “Träger der Leitkultur”, solche Taten (“Sünden”)
angeblich schon wegen ihrer Bodenständigkeit auf keinen Fall begehen werden. In
fataler Weise fühlt man sich an die gerade in der deutschen Öffentlichkeit
tobende Diskussion um die Flüchtlinge und ihre Unterstützer (“Gutmenschen“) erinnert, die ebenfalls für Alles
und Jedes verantwortlich gemacht werden sollen. Genauer betrachtet sind die
bewussten Strophen natürlich nichts anderes als offen zur Sprache gebrachte
rassistische Vorurteile gegen Menschen mit abweichender Staatsbürgerschaft bzw.
Religion.
Überhaupt
spielt die Religion bei der Aufrechterhaltung staatlicher Regeln eine wichtige
Rolle; jedenfalls sind beide Strophen wahre Quellen der Anspielung auf die
Gemeinschaft von Kirche und Staat und auf das stillschweigend vorausgesetzte
Gottesgnadentum weltlicher Regierungen. Rebellion sei eine Sünde. Rebellen
bekämpften nicht nur den Staat, sondern leugneten auch den christlichen Gott
und das wiederum führe in letzter Konsequenz zu staatlicher Aufruhr, alles
natürlich ein einziger Appell an das schlechte Gewissen der Bürger.
Strophe 4 - 7
Der
Obrigkeit gehorchen, ist
Die erste Pflicht für Jud und Christ.
Es schließe jeder seine Bude
Sobald es dunkelt, Christ und Jude.
Die erste Pflicht für Jud und Christ.
Es schließe jeder seine Bude
Sobald es dunkelt, Christ und Jude.
Wo
ihrer drei beisammen stehn,
Da soll man auseinander gehn.
Des Nachts soll niemand auf den Gassen
Sich ohne Leuchte sehen lassen.
Da soll man auseinander gehn.
Des Nachts soll niemand auf den Gassen
Sich ohne Leuchte sehen lassen.
Es
liefre seine Waffen aus
Ein jeder in dem Gildenhaus;
Auch Munition von jeder Sorte
Wird deponiert am selben Orte.
Ein jeder in dem Gildenhaus;
Auch Munition von jeder Sorte
Wird deponiert am selben Orte.
Wer
auf der Straße räsoniert,
Wird unverzüglich füsiliert;
Das Räsonieren durch Gebärden
Soll gleichfalls hart bestrafet werden.
Aus den In den Strophen zwei
und drei vorgeblich erhobenen Beweisen, die letztlich aber nichts Anderes sind
als unbewiesene Behauptungen, leitet die Obrigkeit in den Strophen vier bis
sechs repressive Vorschriften ab, die man aus heutiger Sicht nur als
knallharrte, nirgendwo legitimierte Aufhebung von Grundrechten ansehen kann:Wird unverzüglich füsiliert;
Das Räsonieren durch Gebärden
Soll gleichfalls hart bestrafet werden.
- Die Weisungsgebundenheit ("Der Obrigkeit gehorchen ist die erste Pflicht …")
- Die Beschränkung des Rechts auf Bewaffnung ("Es liefre seine Waffen aus…")
- Die Beschränkung von Handel und Wandel ("Es schließe jeder seine Bude…")
- Die Aufhebung des Rechts auf freie Versammlung (Wo ihrer drei beisammen stehn,…")
- Die Ausgangssperre ("Des Nachts soll niemand auf den Gassen…")
Heine
beschreibt hier Strategie und Taktik von staatlichen Stellen, wie sie wohl bis
auf den heutigen Tag üblich sind, denkt man beispielsweise an die
Notstandgesetze aus den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts oder gar an den
Verlauf des "Arabischen Frühlings".
Strophe 8
Vertrauet
Eurem Magistrat,
Der fromm und liebend schützt den Staat
Durch huldreich hochwohlweises Walten;
Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.
Der fromm und liebend schützt den Staat
Durch huldreich hochwohlweises Walten;
Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.
Vollends
entlarvt wird die Obrigkeit erst mit der abschließenden achten Strophe, in der
sie sich zunächst süßlich-aufdringlich an das Volk heranwanzt
("Vertrauet…", " fromm und liebend…", " huldreich
hochwohlweises Walten…"), stilistisch übrigens korrespondierend mit
Strophe 1 ("stadtvterlichst"), letztendlich aber mit der
Forderung im allerletzten Vers ihr wahres Gesicht zeigt und ihre eigentlichen
Absichten aufdeckt: "… stets das Maul zu halten." Die vertrackt-gedrechselten Formulierungen sind übrigens unmittlelbar der satirischen Komödie "Die deutschen Kleinstädter" und deren Vorliebe für gestanzte Kommunikation entliehen.
Eine staatliche Ordnungsmacht, die sich ihrem Volk gegenüber so verhält wie hier geschildert, hat sich die Rebellion wohl redlich verdient. Andererseits muss eine politische Bewegung, die sich gängeln und einschüchtern lässt, scheitern.
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