Personen:
Herr Nikolaus Staar, Bürgermeister, auch Oberältester zu
Krähwinkel
Frau Untersteuereinnehmerin Staar,
seine Mutter
Sabine, seine Tochter
Herr Vizekirchenvorsteher Staar,
sein Bruder, ein Gewürzkrämer
Frau Oberfloß- und Fischmeisterin Brendel,
Muhme
Frau Stadtakzisekassaschreiberin Morgenrot,
Muhme
Herr Bau-, Berg- und
Weginspektorssubstitut Sperling
Olmers
Ein Nachtwächter
Klaus, der Ratsdiener
Eine Magd
Ein Bauer
Ein
paar Kinder
Erster Akt
Erste Szene
Sabine, die Magd
Ein Zimmer in des Bürgermeisters
Hause
Sabine,
die Tochter des Bürgermeister und "seit fünf Wochen (…) aus der Residenz
zurück", wartet ungeduldig auf Post von einem heimlichen Liebhaber, was
allerdings nur indirekt aus ihren Äußerungen zu schließen ist. Sie werde womöglich,
wenn wieder kein Brief kommt, "Sperling heiraten". Sie besinnt sich
jedoch auch gleich wieder, weil sie selbst dadurch wohl "am meisten
gestraft sei." Eindringlich ruft sie nach der Magd Margarete, die sich
auch sogleich einstellt.
Zweite Szene
Die Magd, Sabine
Ein Zimmer in des
Bürgermeisters Hause
Sabine
reißt der Magd ebenso hastig wie erleichtert einen Brief aus der Hand, ist aber
leicht angesäuert, als sich eine Cousine als Absenderin entpuppt. Margarete
bleibt es vorbehalten, den Horizont der Kleinstadt Krähwinkel einzukreisen:
Sechzehn Briefe seien an diesem "starken Posttag" angekommen, der den
Postmeister über die Maßen beanspruche, außerdem einige Zeitungen.
Dritte Szene
Sabine (allein)
Ein Zimmer in des
Bürgermeisters Hause
Diese
Szene ist ein Monolog Sabines, die zunächst den Inhalt der Zeitung
(Theaterkritik, Mode) als unwichtig abtut und im Fehlen einer Nachricht vom
Geliebten schon ein Scheitern der
Beziehung sieht. Die Cousine ist als postillon d'amour vorgesehen gewesen und hat die
Briefe vom Geliebten an Sabine weiterleiten sollen. Diese selbst fühlt sich von der Familie,
(Eltern, Großmutter) bedrängt, in den Stand der Ehe zu treten; allerdings mit
dem bereits erwähnten Sperling, wobei sie selbst doch eben Karl, dessen Namen
wir hier zum ersten Mal erfahren, ausersehen hat. Sie erwähnt Karls
Versprechen, in Krähwinkel zu erscheinen und bei ihrem Vater um ihre Hand
anzuhalten. Sehnsüchtig betrachtet Sabine Karls Porträt, das er ihr beim
gemeinsamen Aufenthalt in der Residenz in Form einer Brosche geschenkt hat.
Vierte Szene
Frau Staar
(Großmutter und Untersteuereinnehmerin), Sabine
Ein Zimmer in des
Bürgermeisters Hause
Die
Großmutter zeigt sich freudig erregt über den Stand der Vorbereitungen für ein
Fest am folgenden Tag, das sich erst allmählich als die Verlobung Sabines mit
dem bewussten Herrn Sperling herausstellt. Nicht unbemerkt bleibt der alten
Dame der Zustand der inneren Unruhe ihrer Enkelin, bei der sie dann schließlich
auch das bereits erwähnte Bild eines jungen Mannes findet. Sie ist entsetzt und
möchte nach zahlreichen Ereiferungen über den Verfall von Sitte und Moral von
Sabine dessen Name erfahren. Sabine entschließt sich zu
einer Notlüge und gibt vor, es sei ein Bild des Königs, womit sie die
Großmutter zunächst einmal beruhigt. Allerdings ist die alte Dame von dem
bewussten Bild derart entzückt, dass sie es gleich an sich nimmt und in die
Tasche steckt. Nach und nach aber lässt Sabine heraus, dass sie eine
tiefgreifende Abneigung gegen den ihr bestimmten Verlobten hegt. Die alte Dame
möchte Sabine mit dem Hinweis beruhigen, alle jungen Damen hegten eine
verständliche Bindungsangst, kurz bevor es Ernst werde. Auch als Sabine
standhaft bleibt und ihre Abscheu gegen Sperling vorbringt, versucht die
Großmutter ihrer Enkelin die Vorzüge einer guten Partie schmackhaft zu machen.
Sie begreift nicht, dass Sabine eher ihrem Herzen als der Aussicht auf ein
gesichertes Auskommen an der Seite eines "Bau-, Berg- und
Wegeinspektorssubstitut" folgen möchte.
Fünfte Szene
Vizekirchenvorsteher
Staar, die Vorigen
Ein Zimmer in des
Bürgermeisters Hause
Auftritt
Vizekirchenvorsteher Staar, Sohn der alten Frau Staar und folglich Sabines
Onkel. Die Großmutter versucht sogleich, ihren Sohn Andreas in Sachen Verlobung
auf ihre Seite zu ziehen, worauf dieser sich auch herbeilässt, die angeblichen
Vorzüge von Sabines künftigem Verlobten anzuführen. Mutter und Sohn legen
erneut das Augenmerk vorwiegend auf die materielle Absicherung, die der Braut
wie ihrer eigenen, auf das Ansehen des Herrn Sperling in der städtischen
Gemeinschaft und auf seine kulturelle Tätigkeit. Aus der Stellung Staars als
Vizekirchenvorsteher ergibt sich nämlich automatisch auch die des Leiters der
Kirchenbibliothek und nach eigenem Anspruch eines literarisch gebildeten
Intellektuellen mit Hang zur Dichtkunst. Sabine appelliert an seine angebliche
Belesenheit und hofft auf seine Unterstützung. Doch Staar erklärt die
"weinerlichen Romane" als "aus der Mode" und hebt
stattdessen auf eigene Bearbeitungen von Räubergeschichten
ab, in denen ein Käsebier, ein Schinderhannes und ein Schmeckebein die Hauptrolle spielen. Dramaturgische
Unterstützung finde er in seiner Arbeit bei dem als Sabines Verlobten ausgeguckten
Herrn Sperling, der über entsprechende Talente verfüge. Außerdem bleibe bei
einer Verbindung Sabines mit Sperling alles in der Familie, da der bewusste Sperling Herrn
Staar auch bei der Bibliothek zur Hand gehe. Erwähnenswert ist die reichlich
bestimmende Haltung des Onkels: "Und damit Punktum."
Sechste Szene
Der Bürgermeister,
die Vorigen
Ein Zimmer in des
Bürgermeisters Hause
Auftritt
zum ersten Mal Herr Staar, Bürgermeister und Oberältester, also Vorsitzender
der Ständeschaft in Krähwinkel, und obendrein Sabines Vater. Wichtigtuerisch
sieht er sich als Mittelpunkt des städtischen Lebens mit einem arbeitsreichen
Alltag. Er ist als Bürgermeister auch höchster Richter der Stadt und hat am
heutigen Tag nach eigenem Bekunden wichtige Fälle zu verhandeln: eine
Sachbeschädigung, eine Wirtshausschlägerei und die vertrackte Sache mit der
Straßenreinigung vor dem Rathaus. Außerdem stehen am nächsten Tag neben der
Verlobung seiner Tochter auch noch Feierlichkeiten aus einem vorerst noch
unbekannten Anlass an.
Siebte Szene
Die Vorigen
Ein Zimmer in des
Bürgermeisters Hause
Den Anlass für die Feierlichkeiten erfährt
der Leser/Zuschauer mehr en passant: Eine Magd soll wegen Diebstahls in
Krähwinkel an den Pranger gestellt werden, nachdem sie neun Jahre im Kerker
gesessen hat und es dem Bürgermeister gelungen ist, sich mit der Nachbargemeinde
Rummelsburg über den Ort der Vollstreckung zu einigen.
Bei
dieser Gelegenheit offenbart Sabine ihrem Vater, dass sie nicht geneigt sei,
sich mit dem von der Familie Auserkorenen zu verloben. In einem ergreifenden
Vergleich sieht sie ihr Schicksal als schlimmer an als das der verurteilten
Magd, weil diese nach der Anprangerung frei sei, sie selbst aber vom kommenden
Tag an auf ewig an einen ungeliebten Mann gefesselt. Natürlich geht der
Bürgermeister über ihr Ansinnen hinweg und zählt vielmehr die Vorteile des
Herrn Sperling auf; es sind ausschließlich materielle Eigenschaften sowie Vorzüge der gesellschaftlichen
Stellung, die ihn veranlasst haben, "denselben zu meinem
Schwiegersohn" zu bestimmen.
Achte Szene
Die Magd, die Vorigen
Ein Zimmer in des
Bürgermeisters Hause
Die
Magd meldet einen Bauern, der einen schriftlichen Hilferuf von einem Reisenden
bringt, dessen Kutsche vor den Toren der Stadt havariert ist. Der Bürgermeister
und Oberälteste verspricht sich zunächst einmal einen Auftrag für die örtlichen
Handwerker und räsoniert bei dieser Gelegenheit darüber, dass die städtische
Verwaltung vom Geld für Arbeiten profitiert, die sie nicht ausführen lässt. Es
ist nichts Anderes als ein gnadenloser Einblick in die alltägliche Korruption der kommunalen
Verwaltung.
Neunte Szene
Ein Bauer, die
Vorigen
Ein Zimmer in des
Bürgermeisters Hause
Der
Bauer berichtet Einzelheiten von dem verunfallten Reisenden. Der Bürgermeister
ist vorerst einigermaßen abgebrüht und lediglich an der Aussicht auf
finanziellen Gewinn aus Reparaturaufträgen
interessiert. Er hält den Reisenden gar für einen potentiellen Zuschauer beim
anstehenden Pranger-Event.
Erst
als der Bürgermeister den Brief genauer liest und Sabine erleichtert reagiert,
wird dem Leser/Zuschauer klar, dass es sich beim Absender um Seine Exzellenz,
den dirigierenden Minister, handelt, der dem Bürgermeister seinen Schulfreund
Karl Osmers, eben jene Bekanntschaft Sabines aus der Residenzstadt,
anempfiehlt. Allerdings bleiben die wahren Zusammenhänge den handelnden
Personen, außer Sabine, verborgen. Zu sehr fühlen sich Bürgermeister Staar und
sein Bruder vom Kontakt zur Residenzstadt geehrt und von den geschäftsmäßig höflichen
Formulierungen im Schreiben geschmeichelt. Man wohnt der Geburt von Gerüchten
bei, während sich beide Staars mit ihrer Mutter über das Ereignis unterhalten.
Immerhin versucht die alte Dame, ihre Söhne in ihrer Begeisterung einzubremsen;
aber die beiden spinnen, berauscht von der eigenen Bedeutung, den
Beziehungsfaden zur Residenzstadt immer weiter. Karl Osmers reise
"inkognito" sei ohne Zweifel "ein wichtiger Mann im
Staate", gar ein "Minister", erkennbar am "Stern",
wenn er den "Oberrock" aufknöpfe.
Zehnte Szene
Frau Staar, Sabine
Die
Großmutter ist sogleich Feuer und Flamme in Erwartung der Verlobungsfeierlichkeiten;
nun gar in Anwesenheit eines vermeintlich hohen Herrn aus der Residenzstadt.
Sabine, die längst weiß, um wen es sich tatsächlich handelt, macht sich einen
Spaß daraus, ihre Großmutter mit dieser Verwechslung zu necken und auf die
wahre Identität des avisierten Besuchs anzuspielen. Erwähnenswert ist die
Aussicht von Sabines ausgegucktem Verlobten zum
"Runkelrübenkommissionsassessor"
Elfte Szene
Frau Staar, bald
darauf die Magd
Um
den hohen Herrn aus der Residenz mit der "gehörigen Gravität" empfangen
zu können, lässt Frau Staar nichts unversucht. Vor allem eine angemessene
Tafelrunde aus weiblichen Angehörigen der städtischen high society gilt es
einzuladen. Komisch wirkt dabei, dass die Großmutter ihrer Magd befiehlt, die jeweiligen Damen bei
der Einladung mit dem ihnen zustehenden Titel, den sie ihrer Heirat mit dem
jeweiligen Amtsträger verdanken und der allein schon wegen der Länge recht
aufgeblasen wirkt, anzureden: "Frau Oberfloß- und Fischmeisterin" und
"Frau Stadtakzisekasseschreiberin". Darüber hinaus sorgt sich Frau
Staar natürlich um ihre eigene Garderobe.
Zwölfte Szene
Frau Staar und Frau
Brendel
Von
der Magd herbeigerufen erscheint zunächst die "Frau Oberfloß- und
Fischmeisterin" Brendel, die von dem bevorstehenden großen gesellschaftlichen
Ereignis bereits durch die örtliche Gerüchteküche und über verschiedene Ecken
herum erfahren hat.
Dreizehnte Szene
Frau Morgenrot. Die
Vorigen
"Frau
Stadtakzisekasseschreiberin" Morgenrot, wie Frau Brendel eine
"Muhme"[1]
von Frau Staar, weiß über den Vorgang im Grundsatz ebenfalls schon Bescheid,
wenn auch mit erheblich mehr Beiwerk befrachtet. So liegen in ihrer Version
"drei oder vier Prinzen" im Straßengraben vor der Stadt, "der
eine tot der andere schnappt nur noch ein bisschen". Die drei Damen erörtern sogleich als selbst ernannter
Festausschuss die Einladungsliste für den folgenden Tag. Die vorgeschlagenen Honoratioren der Stadt werden zwar alle miteinander bei ihren
bombastischen Titeln genannt, "Geleits- und Landakziskommissarius",
"Generalpostgüterbeschauer", "Kreistrank-, Schock- und
Quatembersteuer- auch Imposteinnehmer", "Floßstrafbefehlshaber",
letztlich aber alle wegen im Raume stehender kleingeistiger Reibereien
abgelehnt.
Vierzehnte Szene
Sperling mit einem großen
Blumenstrauß. Die Vorigen
Sperling,
der ebenfalls gerüchteweise über den bewussten Unfall informiert worden ist,
hat sich, Vertreter der geistigen Elite Krähwinkels, der er nun mal zu sein
glaubt, sofort auf den Weg gemacht, um bei den Vorbereitungen des zu
erwartenden Empfangs behilflich zu sein. Zur Begrüßung des vermeintlichen
"Gelehrten aus der Residenzstadt" werde er wohl den Kinderchor
dirigieren müssen, weshalb er sich schon mal pantomimisch darauf vorbereitet.
Frau
Staar geht ab, um sich den Vorbereitungen zu widmen, und wird sogleich
Gegenstand intensiver Klatschgespräche zwischen ihren beiden Mumen1, die sich über Familienangelegenheiten
und Kleiderordnung der Staars munter den Mund zerreißen.
Fünfzehnte Szene
Diese
Szene setzt zwar in dramatischer Hinsicht die vorige einfach fort, gibt aber,
vor allem nachdem die Kinder des Empfangskomitees in Erscheinung getreten sind,
darüber hinaus auch Aufschluss über die Gepflogenheiten bei der Kindererziehung
in der kleinbürgerlichen Umgebung von Krähwinkel, weil sich die beiden Frauen
darüber auslassen.
Sechzehnte Szene
Herr Staar. Der
Bürgermeister. Sabine. (Einer nach dem andern.) Die Vorigen.
Eine
Mauerschau der beteiligten Personen kündigt das Eintreffen des hohen Herrn
Olmers in Krähwinkel an. Die Bevölkerung zieht vom Trompetensignal über den
Kinderchor bis zu den Damen, die sich gegenseitig darin überbieten, sich den
Vortritt zu lassen, alle Register pompöser Übertreibung. Nur Sabine wirft ihrem
Geliebten heimliche Kusshände zu.
[Weiter]
[1] zumeist
Tante oder Base, kann aber auch allgemein soziale Nähe bezeichnen
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