Dienstag, 15. Dezember 2015

August von Kotzebue: Die deutschen Kleinstädter (1)



Personen:

Herr Nikolaus Staar, Bürgermeister, auch Oberältester zu Krähwinkel
Frau Untersteuereinnehmerin Staar, seine Mutter
Sabine, seine Tochter
Herr Vizekirchenvorsteher Staar, sein Bruder, ein Gewürzkrämer
Frau Oberfloß- und Fischmeisterin Brendel, Muhme
Frau Stadtakzisekassaschreiberin Morgenrot, Muhme
Herr Bau-, Berg- und Weginspektorssubstitut Sperling
Olmers
Ein Nachtwächter
Klaus, der Ratsdiener
Eine Magd
Ein Bauer
Ein paar Kinder

Erster Akt

Erste Szene
Sabine, die Magd
Ein Zimmer in des Bürgermeisters Hause
Sabine, die Tochter des Bürgermeister und "seit fünf Wochen (…) aus der Residenz zurück", wartet ungeduldig auf Post von einem heimlichen Liebhaber, was allerdings nur indirekt aus ihren Äußerungen zu schließen ist. Sie werde womöglich, wenn wieder kein Brief kommt, "Sperling heiraten". Sie besinnt sich jedoch auch gleich wieder, weil sie selbst dadurch wohl "am meisten gestraft sei." Eindringlich ruft sie nach der Magd Margarete, die sich auch sogleich einstellt.

Zweite Szene
Die Magd, Sabine
Ein Zimmer in des Bürgermeisters Hause
Sabine reißt der Magd ebenso hastig wie erleichtert einen Brief aus der Hand, ist aber leicht angesäuert, als sich eine Cousine als Absenderin entpuppt. Margarete bleibt es vorbehalten, den Horizont der Kleinstadt Krähwinkel einzukreisen: Sechzehn Briefe seien an diesem "starken Posttag" angekommen, der den Postmeister über die Maßen beanspruche, außerdem einige Zeitungen.

Dritte Szene
Sabine (allein)
Ein Zimmer in des Bürgermeisters Hause
Diese Szene ist ein Monolog Sabines, die zunächst den Inhalt der Zeitung (Theaterkritik, Mode) als unwichtig abtut und im Fehlen einer Nachricht vom Geliebten schon  ein Scheitern der Beziehung sieht. Die Cousine ist als postillon d'amour vorgesehen gewesen und hat die Briefe vom Geliebten an Sabine weiterleiten sollen. Diese selbst fühlt sich von der Familie, (Eltern, Großmutter) bedrängt, in den Stand der Ehe zu treten; allerdings mit dem bereits erwähnten Sperling, wobei sie selbst doch eben Karl, dessen Namen wir hier zum ersten Mal erfahren, ausersehen hat. Sie erwähnt Karls Versprechen, in Krähwinkel zu erscheinen und bei ihrem Vater um ihre Hand anzuhalten. Sehnsüchtig betrachtet Sabine Karls Porträt, das er ihr beim gemeinsamen Aufenthalt in der Residenz in Form einer Brosche geschenkt hat.

Vierte Szene
Frau Staar (Großmutter und Untersteuereinnehmerin), Sabine
Ein Zimmer in des Bürgermeisters Hause
Die Großmutter zeigt sich freudig erregt über den Stand der Vorbereitungen für ein Fest am folgenden Tag, das sich erst allmählich als die Verlobung Sabines mit dem bewussten Herrn Sperling herausstellt. Nicht unbemerkt bleibt der alten Dame der Zustand der inneren Unruhe ihrer Enkelin, bei der sie dann schließlich auch das bereits erwähnte Bild eines jungen Mannes findet. Sie ist entsetzt und möchte nach zahlreichen Ereiferungen über den Verfall von Sitte und Moral von Sabine dessen Name erfahren. Sabine entschließt sich zu einer Notlüge und gibt vor, es sei ein Bild des Königs, womit sie die Großmutter zunächst einmal beruhigt. Allerdings ist die alte Dame von dem bewussten Bild derart entzückt, dass sie es gleich an sich nimmt und in die Tasche steckt. Nach und nach aber lässt Sabine heraus, dass sie eine tiefgreifende Abneigung gegen den ihr bestimmten Verlobten hegt. Die alte Dame möchte Sabine mit dem Hinweis beruhigen, alle jungen Damen hegten eine verständliche Bindungsangst, kurz bevor es Ernst werde. Auch als Sabine standhaft bleibt und ihre Abscheu gegen Sperling vorbringt, versucht die Großmutter ihrer Enkelin die Vorzüge einer guten Partie schmackhaft zu machen. Sie begreift nicht, dass Sabine eher ihrem Herzen als der Aussicht auf ein gesichertes Auskommen an der Seite eines "Bau-, Berg- und Wegeinspektorssubstitut" folgen möchte.

Fünfte Szene
Vizekirchenvorsteher Staar, die Vorigen
Ein Zimmer in des Bürgermeisters Hause
Auftritt Vizekirchenvorsteher Staar, Sohn der alten Frau Staar und folglich Sabines Onkel. Die Großmutter versucht sogleich, ihren Sohn Andreas in Sachen Verlobung auf ihre Seite zu ziehen, worauf dieser sich auch herbeilässt, die angeblichen Vorzüge von Sabines künftigem Verlobten anzuführen. Mutter und Sohn legen erneut das Augenmerk vorwiegend auf die materielle Absicherung, die der Braut wie ihrer eigenen, auf das Ansehen des Herrn Sperling in der städtischen Gemeinschaft und auf seine kulturelle Tätigkeit. Aus der Stellung Staars als Vizekirchenvorsteher ergibt sich nämlich automatisch auch die des Leiters der Kirchenbibliothek und nach eigenem Anspruch eines literarisch gebildeten Intellektuellen mit Hang zur Dichtkunst. Sabine appelliert an seine angebliche Belesenheit und hofft auf seine Unterstützung. Doch Staar erklärt die "weinerlichen Romane" als "aus der Mode" und hebt stattdessen auf eigene Bearbeitungen von Räubergeschichten ab, in denen ein Käsebier, ein Schinderhannes und ein Schmeckebein die Hauptrolle spielen. Dramaturgische Unterstützung finde er in seiner Arbeit  bei dem als Sabines Verlobten ausgeguckten Herrn Sperling, der über entsprechende Talente verfüge. Außerdem bleibe bei einer Verbindung Sabines mit Sperling alles in der Familie, da der bewusste Sperling Herrn Staar auch bei der Bibliothek zur Hand gehe. Erwähnenswert ist die reichlich bestimmende Haltung des Onkels: "Und damit Punktum."

Sechste Szene
Der Bürgermeister, die Vorigen
Ein Zimmer in des Bürgermeisters Hause
Auftritt zum ersten Mal Herr Staar, Bürgermeister und Oberältester, also Vorsitzender der Ständeschaft in Krähwinkel, und obendrein Sabines Vater. Wichtigtuerisch sieht er sich als Mittelpunkt des städtischen Lebens mit einem arbeitsreichen Alltag. Er ist als Bürgermeister auch höchster Richter der Stadt und hat am heutigen Tag nach eigenem Bekunden wichtige Fälle zu verhandeln: eine Sachbeschädigung, eine Wirtshausschlägerei und die vertrackte Sache mit der Straßenreinigung vor dem Rathaus. Außerdem stehen am nächsten Tag neben der Verlobung seiner Tochter auch noch Feierlichkeiten aus einem vorerst noch unbekannten Anlass an.

Siebte Szene
Die Vorigen
Ein Zimmer in des Bürgermeisters Hause
Den Anlass für die Feierlichkeiten erfährt der Leser/Zuschauer mehr en passant: Eine Magd soll wegen Diebstahls in Krähwinkel an den Pranger gestellt werden, nachdem sie neun Jahre im Kerker gesessen hat und es dem Bürgermeister gelungen ist, sich mit der Nachbargemeinde Rummelsburg über den Ort der Vollstreckung zu einigen.
Bei dieser Gelegenheit offenbart Sabine ihrem Vater, dass sie nicht geneigt sei, sich mit dem von der Familie Auserkorenen zu verloben. In einem ergreifenden Vergleich sieht sie ihr Schicksal als schlimmer an als das der verurteilten Magd, weil diese nach der Anprangerung frei sei, sie selbst aber vom kommenden Tag an auf ewig an einen ungeliebten Mann gefesselt. Natürlich geht der Bürgermeister über ihr Ansinnen hinweg und zählt vielmehr die Vorteile des Herrn Sperling auf; es sind ausschließlich materielle Eigenschaften  sowie Vorzüge der gesellschaftlichen Stellung, die ihn veranlasst haben, "denselben zu meinem Schwiegersohn" zu bestimmen.

Achte Szene
Die Magd, die Vorigen
Ein Zimmer in des Bürgermeisters Hause
Die Magd meldet einen Bauern, der einen schriftlichen Hilferuf von einem Reisenden bringt, dessen Kutsche vor den Toren der Stadt havariert ist. Der Bürgermeister und Oberälteste verspricht sich zunächst einmal einen Auftrag für die örtlichen Handwerker und räsoniert bei dieser Gelegenheit darüber, dass die städtische Verwaltung vom Geld für Arbeiten profitiert, die sie nicht ausführen lässt. Es ist nichts Anderes als ein gnadenloser Einblick in die alltägliche Korruption der kommunalen Verwaltung.

Neunte Szene
Ein Bauer, die Vorigen
Ein Zimmer in des Bürgermeisters Hause
Der Bauer berichtet Einzelheiten von dem verunfallten Reisenden. Der Bürgermeister ist vorerst einigermaßen abgebrüht und lediglich an der Aussicht auf finanziellen Gewinn  aus Reparaturaufträgen interessiert. Er hält den Reisenden gar für einen potentiellen Zuschauer beim anstehenden Pranger-Event.
Erst als der Bürgermeister den Brief genauer liest und Sabine erleichtert reagiert, wird dem Leser/Zuschauer klar, dass es sich beim Absender um Seine Exzellenz, den dirigierenden Minister, handelt, der dem Bürgermeister seinen Schulfreund Karl Osmers, eben jene Bekanntschaft Sabines aus der Residenzstadt, anempfiehlt. Allerdings bleiben die wahren Zusammenhänge den handelnden Personen, außer Sabine, verborgen. Zu sehr fühlen sich Bürgermeister Staar und sein Bruder vom Kontakt zur Residenzstadt geehrt und von den geschäftsmäßig höflichen Formulierungen im Schreiben geschmeichelt. Man wohnt der Geburt von Gerüchten bei, während sich beide Staars mit ihrer Mutter über das Ereignis unterhalten. Immerhin versucht die alte Dame, ihre Söhne in ihrer Begeisterung einzubremsen; aber die beiden spinnen, berauscht von der eigenen Bedeutung, den Beziehungsfaden zur Residenzstadt immer weiter. Karl Osmers reise "inkognito" sei ohne Zweifel "ein wichtiger Mann im Staate", gar ein "Minister", erkennbar am "Stern", wenn er den "Oberrock" aufknöpfe.

Zehnte Szene
Frau Staar, Sabine
Die Großmutter ist sogleich Feuer und Flamme in Erwartung der Verlobungsfeierlichkeiten; nun gar in Anwesenheit eines vermeintlich hohen Herrn aus der Residenzstadt. Sabine, die längst weiß, um wen es sich tatsächlich handelt, macht sich einen Spaß daraus, ihre Großmutter mit dieser Verwechslung zu necken und auf die wahre Identität des avisierten Besuchs anzuspielen. Erwähnenswert ist die Aussicht von Sabines ausgegucktem Verlobten zum "Runkelrübenkommissionsassessor"

Elfte Szene
Frau Staar, bald darauf die Magd
Um den hohen Herrn aus der Residenz mit der "gehörigen Gravität" empfangen zu können, lässt Frau Staar nichts unversucht. Vor allem eine angemessene Tafelrunde aus weiblichen Angehörigen der städtischen high society gilt es einzuladen. Komisch wirkt dabei, dass die Großmutter  ihrer Magd befiehlt, die jeweiligen Damen bei der Einladung mit dem ihnen zustehenden Titel, den sie ihrer Heirat mit dem jeweiligen Amtsträger verdanken und der allein schon wegen der Länge recht aufgeblasen wirkt, anzureden: "Frau Oberfloß- und Fischmeisterin" und "Frau Stadtakzisekasseschreiberin". Darüber hinaus sorgt sich Frau Staar natürlich um ihre eigene Garderobe.

Zwölfte Szene
Frau Staar und Frau Brendel
Von der Magd herbeigerufen erscheint zunächst die "Frau Oberfloß- und Fischmeisterin" Brendel, die von dem bevorstehenden großen gesellschaftlichen Ereignis bereits durch die örtliche Gerüchteküche und über verschiedene Ecken herum erfahren  hat.

Dreizehnte Szene
Frau Morgenrot. Die Vorigen
"Frau Stadtakzisekasseschreiberin" Morgenrot, wie Frau Brendel eine "Muhme"[1] von Frau Staar, weiß über den Vorgang im Grundsatz ebenfalls schon Bescheid, wenn auch mit erheblich mehr Beiwerk befrachtet. So liegen in ihrer Version "drei oder vier Prinzen" im Straßengraben vor der Stadt, "der eine tot der andere schnappt nur noch ein bisschen". Die drei Damen erörtern sogleich als selbst ernannter Festausschuss die Einladungsliste für den folgenden Tag. Die vorgeschlagenen  Honoratioren der Stadt  werden zwar alle miteinander bei ihren bombastischen Titeln genannt, "Geleits- und Landakziskommissarius", "Generalpostgüterbeschauer", "Kreistrank-, Schock- und Quatembersteuer- auch Imposteinnehmer", "Floßstrafbefehlshaber", letztlich aber alle wegen im Raume stehender kleingeistiger Reibereien abgelehnt.

Vierzehnte Szene
Sperling mit einem großen Blumenstrauß. Die Vorigen
Sperling, der ebenfalls gerüchteweise über den bewussten Unfall informiert worden ist, hat sich, Vertreter der geistigen Elite Krähwinkels, der er nun mal zu sein glaubt, sofort auf den Weg gemacht, um bei den Vorbereitungen des zu erwartenden Empfangs behilflich zu sein. Zur Begrüßung des vermeintlichen "Gelehrten aus der Residenzstadt" werde er wohl den Kinderchor dirigieren müssen, weshalb er sich schon mal pantomimisch darauf vorbereitet.
Frau Staar geht ab, um sich den Vorbereitungen zu widmen, und wird sogleich Gegenstand intensiver Klatschgespräche zwischen ihren beiden Mumen1, die sich über Familienangelegenheiten und Kleiderordnung der Staars munter den Mund zerreißen.

Fünfzehnte Szene
Frau Staar mit zwei Kindern, die große Butterbröte essen. Die Vorigen.
Diese Szene setzt zwar in dramatischer Hinsicht die vorige einfach fort, gibt aber, vor allem nachdem die Kinder des Empfangskomitees in Erscheinung getreten sind, darüber hinaus auch Aufschluss über die Gepflogenheiten bei der Kindererziehung in der kleinbürgerlichen Umgebung von Krähwinkel, weil sich die beiden Frauen darüber auslassen.

Sechzehnte Szene
Herr Staar. Der Bürgermeister. Sabine. (Einer nach dem andern.) Die Vorigen.
Eine Mauerschau der beteiligten Personen kündigt das Eintreffen des hohen Herrn Olmers in Krähwinkel an. Die Bevölkerung zieht vom Trompetensignal über den Kinderchor bis zu den Damen, die sich gegenseitig darin überbieten, sich den Vortritt zu lassen, alle Register pompöser Übertreibung. Nur Sabine wirft ihrem Geliebten heimliche Kusshände zu.



[1] zumeist Tante oder Base, kann aber auch allgemein soziale Nähe bezeichnen

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