Definition
Schulveranstaltungen
sind Veranstaltungen, die im Auftrag oder mit Billigung der
Schulbehörde stattfinden, aber nicht Unterricht im herkömmlichen Sinne
sind.
Im Zuge
der Aufarbeitung des durch die PISA-Studie im Jahr 2000 aufgedeckten Zustands
des deutschen Bildungswesens verfiel man innerhalb der Kultusbürokratie auf
Drängen der deutschen Wirtschaft, die sich um die Qualifikation ihres
Nachwuchses sorgte, auf die Idee, Bildungsmanagement könne am Beispiel des
Wirtschaftsmanagements erlernt werden. Das führte an unserer Schule
beispielsweise zunächst dazu, dass der Schulleiter einen ganzen Morgen lang in
der Abteilung "Qualitätsmanagement" (QM) eines global players aus
der Auspuffbranche hospitierte und sich begeistert von den Fähigkeiten
des Abteilungsleiters Dr. S. und den betriebswirtschaftlichen
Abläufen in dessen Abteilung zeigte. Mein Einwand, solche Abläufe ließen sich
nicht 1:1 auf den Schulbetrieb übertragen, wurde schlicht abgetan.
Mehrere
Veranstaltungen, meistens nachmittags, folgten, teilweise zur Unterrichtung des
Kollegiums, teilweise gemeinsam mit Abgesandten des Auspuffherstellers, denen
man – ein Eindruck, den ich möglicherweise exklusiv habe, - aus der Ferne
bereits ihre schnöselige Abneigung gegen "die Lehrer" ansehen konnte.
Den
Abschluss dieser Veranstaltungsreihe bildete ein Plenum mit dem Kollegium, der
Schulleitung und dem Personal aus der Abteilung QM, inklusive ihrer Führung.
Der
bereits erwähnte DR. S. dozierte eine gute Stunde über die organisatorische
Struktur seines Hauses, über Details des QM in einem industriellen Großbetrieb
sowie weltweite Absatzmöglichkeiten der in seiner Firma produzierten
Industriegüter. Berührungspunkte mit den Problemen der Menschenführung an einer
Erweiterten Realschule ergaben sich keine, weshalb Herr Dr. S. in seinem
Schlusssatz zwingend feststellte: "Die organisatorischen Strukturen eines
modernen Wirtschaftsbetriebes lassen sich in keiner Weise auf den Schulbetrieb
übertragen." Dieser Satz spiegelte zwar die tiefe Überzeugung des
Referenten wider, führte aber die gesamte Veranstaltungsreihe zum Thema
"Wirtschaft und Schule", die sich immerhin über mehrere Jahre
hingezogen hatte, komplett ad absurdum. Trotzdem enthielt er nach meiner
Ansicht eine schlichte Binsenweisheit.
Natürlich
erbat ich von meinem Schulleiter danach eine Stellungnahme zu dieser Aussage,
die sich ja vollkommen mit meiner eigenen Meinung deckte. Er bediente sich
eines Totschlag-Arguments: "Herr Dr. S ist eine Schlafmütze", im
Original benutzte er den saarländischen Ausdruck "Schloofkopp". Mir
fiel dazu nix mehr ein.
Als
zuständiger Sys-Admin unserer Schule nahm ich während dieser Zeit der
versuchten Anpassung an das Wirtschaftsmanagement mehrfach einen Anlauf, jedem
Angehörigen des Kollegiums eine individuelle Email-Adresse zu verschaffen, eine
Maßnahme, der sich alle Angehörigen des mittleren Managements in der freien
Wirtschaft unterziehen, weil sie der Verkürzung der Kommunikationswege dient.
Man bedenke: Wir waren im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends angekommen;
trotzdem wurde mein Ansinnen mit der Begründung abgelehnt, dann müssten sich
die meisten Kollegen ja erst einen Internetzugang beschaffen. Im Laufe der
nächsten zwei bis drei Jahre waren sie ohnehin dazu gezwungen, wenn sie
informationstechnisch auf dem Laufenden bleiben wollten. Mein Vorschlag wurde
trotzdem nicht akzeptiert, natürlich weil ich es nun mal war, der ihn machte,
aber hauptsächlich auch, weil unter Lehrern und Lehrerinnen nichts heftiger in
Zweifel gezogen wird als die Notwendigkeit des eigenen Lernens. Von den vielen
Konferenzen, die noch folgen sollten, wäre ein großer Teil komplett, andere
wenigstens teilweise überflüssig geworden, weil sich die Schulleitung per
Rundmail - ein Begriff, der leider noch nicht eingeführt war - an das Kollegium
hätte wenden können. Stattdessen verlas der Schulleiter in unzähligen
Konferenzen, zu der das Kollegium nachmittags anzutreten hatte, Mails, die er
zum Beispiel von der vorgesetzten Dienststelle erhalten hatte.
Eine
meiner letzten Amtshandlungen als Lehrer an der Erweiterten Realschule
Neunkirchen-Stadtmitte war die Begleitung und Beaufsichtigung meiner neunten
Klasse während eines Gebetsgottesdienstes in der Kirche in unmittelbarer Nähe
der Schule. Der Gottesdienst war ökumenisch gestaltet, d.h. Schülerinnen und
Schüler jeglicher Religionszugehörigkeit, auch Muslime übrigens, standen am
Altar und trugen Fürbitten hauptsächlich zum Umweltschutz vor. Es war im
Frühjahr 2010, die Sonne schien, der Innenraum der Kirche war taghell
erleuchtet. Trotzdem brannten während der Zeit meiner Anwesenheit an der Decke
96 (sechsundneunzig, ich habe sie mehrfach gezählt) Glühlampen, deren Stärke
ich auf je 100 Watt schätzte, völlig sinnlos vor sich hin. Ich betone nochmal:
Umweltschutz war das Hauptthema dieses Ereignisses.
Sekundärzweck:
Solche Veranstaltungen gelangen auf verschlungenen Pfaden immer in die lokale
Presse.
Ich
hoffe, ich konnte durch die Schilderung der verschiedenen schulischen
Veranstaltungen hinreichend verdeutlichen, wie tief meine Abneigung gegen
Schulveranstaltungen, die nicht nur sinnlos, sondern meistenteils geradezu
kontraproduktiv sind, grundsätzlich sitzt
Allerdings gebe ich zu bedenken, dass bei ernsthaftem
Nachdenken über die Vanitas von Schulveranstaltungen die Tätigkeit des
Örtlichen Personalrates an der ERS Neunkirchen komplett überflüssig würde Mit niemandem an der
Schule habe ich jemals darüber gesprochen. Welche Aggressionen diese Vorgänge
trotzdem im Kollegium auslösen würden, konnte ich damals weder überblicken, noch
hätte ich mich darum geschert.
Als zusätzliche
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