Sehr früh in meiner Entwicklung - praktisch
mit dem Erwachen des Bewusstseins - bemerkte ich, dass die Wahrnehmung meiner
Person in der Umgebung durch irgendetwas beeinflusst wurde - nicht zum Guten.
Weder die Angehörigen beider Elternteile, noch Nachbarn konnten mir vorurteilsfrei
gegenüber treten. Eine Erklärung für dieses Phänomen hatte ich natürlich nicht.
Potenziert hat sich dies mit meiner Einschulung und der Einsicht, dass ich -
um den modernen Pädagogenslang zu benutzen – "den Anforderungen der
Schule voll gerecht" wurde.
Meine Mutter wollte verständlicherweise alles
vermeiden, was ihr neben der stillschweigenden Behandlung als Aussätzige mit
Bankert auch noch soziale Sanktionen
wegen eines missratenen Sprösslings eingebracht hätte. Ich kann mich nicht
erinnern, von ihr auch nur einmal gelobt worden zu sein, meine schulischen
Leistungen sollten zuallererst ihren guten Ruf zementieren, obwohl der nach
Definition der Umgebung schon längst ruiniert war. Allerdings wurde sie nie
müde, jeden, der es hören wollte oder auch nicht, von meinem Leistungsstand zu
informieren, um sich selbst ins rechte Licht zu setzen. Dies ging mir schon
sehr früh auf den Senkel.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich war
kein hochbegabtes Genie, habe aber die Grundschulzeit relativ problemlos
gemeistert.
Viel schlimmer noch wurde diese Erfahrung mit
meinem Eintritt ins Gymnasium, den mir meine Eltern – besser: meine Mutter -
zwar unter großen Opfern, aber auch zwecks Selbstbestätigung ermöglichten. Ich
kann mich erinnern, dass ich in einer Lateinarbeit, die die erste Arbeit
überhaupt am Gymnasium war, eine Vier schrieb, was dazu führte, dass ich mich
kaum nach Hause traute, wie sich herausstellte zu Recht. Tagelanger Entzug der
Zuwendung, betont ruppiger Umgangston und demonstrative Zurschaustellung der
eigenen Enttäuschung über das Unrecht, das man ihr angeblich angetan hatte, war
die überwiegend nonverbale Reaktion meiner Mutter.
Trotzdem absolvierte ich das Gymnasium im
Grunde recht glatt, obwohl ich wegen des bildungsfernen Haushalts, in dem ich
lebte, keinerlei Unterstützung hatte. Nur einmal war die "Versetzung gefährdet",
etwa zu der Zeit, als ich meine jetzige Frau kennen lernte – seltsam. Niemals
hat mich in dieser Zeit auch nur irgendwer aus meinem familiären Umfeld nach
der Schule gefragt, sehr gerne hätte ich berichtet, hatte aber keine
Gelegenheit. Meine Mutter dagegen ließ gegen meinen Willen keine Gelegenheit
aus, meine Zugehörigkeit zur "Owwerschul" herauszuheben. Da ich bis
zum Universitätsstudium in Familie und Nachbarschaft weitgehend der Einzige mit
humanistischer Bildung war, wurde ich in einem teils proletarischen, teils
kleinbürgerlichen Umfeld geradezu zwangsläufig zum Außenseiter. Anfangs
unmerklich, danach in freier Entscheidung. Wie mir erst viel später auffiel,
liegt genau hier die Parallele zu Andri in Max Frischs "Andorra".
Ich erinnere mich an spektakuläre Fälle: Ich
hatte drei mehr oder minder gute Sandkastenfreunde, die etwa gleichzeitig mit
mir die höhere Schulen besuchen wollten, aber allesamt erfolglos, was die
ohnehin nur lockere Freundschaft sofort scheitern ließ. Natürlich steckten die
Eltern der Jungs dahinter, durchweg Handwerksmeister oder Kaufleute aus der
Gegend. Es gab auch Kinder von nahen Verwandten, die die damals im Saarland
noch übliche Hürde der Aufnahmeprüfung nicht nahmen und mich danach schnitten.
Am schlimmsten empfand ich den Fall meines Cousins – Sohn jenes Onkels, der die Sache mit dem Haus meiner
Großeltern zu verantworten hat -, der zunächst am Priesterseminar in Speyer
angemeldet wurde (mindestens ein Pfarrer musste aus der Familie kommen), dann
eine Klasse nach mir am Gymnasium war und letztlich auch da gehen musste. Ich
diente sofort allen Beteiligten als Projektionsfläche ihrer Frustration, ein
Zustand, der sich, obwohl Onkel und Tante längst tot sind, bis auf den heutigen
Tag gehalten hat.
Leider ist besagtem Cousin und seiner Frau –
beide inzwischen natürlich erwachsen - ein behindertes Mädchen im Baby-Alter
verstorben. Nach dessen Beerdigung wollte ich aus profunder Abneigung gegen
Familienfeste im Allgemeinen nicht am anschließenden Essen teilnehmen. Unausgesprochen
wurde mir dies als Dünkel ausgelegt, vermischt mit der (falschen) Annahme, mein
Verhalten sei Rache für die entgangene Erbschaft. Ich schwöre: Da ist nix dran.
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