Dienstag, 15. Dezember 2015

August von Kotzebue: Die deutschen Kleinstädter (2)




Zweiter Akt

Erste Szene
Die drei Frauen stehen noch immer an der Tür und komplimentieren. Sabine seitwärts.
Die Frauen reden überwiegend in gestelzten Fremdwörtern. Sie bitten, zu "exküsieren" (um Entschuldigung), sie möchten "deprezieren" (Abbitte leisten), alles im Gerangel um die rechte Reihenfolge bei der Begrüßung des hohen Herrn.
Zweite Szene
Olmers. Der Bürgermeister. Herr Staar. Sperling. Die Vorigen.
In dieser Szene tritt Herr Olmers, Sabines heimlicher Schatz, zum ersten Mal in persona auf. Er weiß gar nicht recht, wie ihm geschieht, als die Stadt Krähwinkel ihre ganze Lobhudelei vor ihm ausbreitet; er wehrt auch mehrmals ab ("Nicht doch, Herr Bürgermeister, ich bin schon zufrieden, wenn auch nur eine einzige Person (mit einem Blick auf Sabinen) sich über meine Ankunft freut." (…)  " Madam, ich würde untröstlich sein, wenn Sie durch mich in Ihrer alten Ordnung sich stören ließen."), doch die Anwesenden lassen sich in ihrem Untertanen-Furor keineswegs aus der Ruhe bringen. Sogar Zwangsmittel schließt der Bürgermeister nicht aus ("Bewahre der Himmel! ich wollt' es keinem gehorsamen Bürger raten, sich nicht untertänigst zu freuen. Dafür haben wir Mittel.") Dass mit den Mühlen der kleinstädtischen Justiz nicht zu spaßen ist, hat die arme Magd bereits bitter erfahren müssen, die wegen eines Bagatellvergehens nicht nur bereits neun Jahre Festungshaft hinter sich hat, sondern am folgenden Tag auch noch an den Pranger gestellt werden soll.
Derweil geht die Begrüßung weiter; läppisch-täppisch seitens der Bürger, gespickt mit heimlichen Versicherungen der gegenseitigen Zuneigung bei Olmers und Sabine, aber auch mit versteckten Vorwürfen von Seiten Sabines wegen der verspäteten Ankunft und ebenso verschlüsselten Komplimenten wie Rechtfertigungsversuchen bei Olmers.
Der Bürgermeister ergeht sich in Lobpreisungen auf die " ganz feine Stadt", wobei ihm gewisse Peinlichkeiten unterlaufen. So besitze man " eine anmutige Promenade bis zum Galgen", "auch  Niederlagen[1] von ost- und westindischen Gewürzen, samt einer Lesebibliothek." Der Leser fühlt sich hier erinnert an jene Stelle in der "Harzreise" von Heinrich Heine, als der Autor seiner ehemaligen Universitätsstadt Göttingen ein eher zweifelhaftes Denkmal gesetzt hat.
Seinen eigenen Bildungsstand offenbart der Bürgermeister unfreiwillig, als er den gotischen Stil des Rathauses auf die Tatsache zurückführt, dass es " ein Baumeister aus Gotha (…)" es "vor 300 Jahren erbaut" habe.
Auch Sperling, der von der Familie für Sabine ausersehene Verlobte Sabines, ereifert sich, als er Olmers im kulturellen Auftrag der Stadt "die Ode" vorlesen möchte "die an die Braunschweiger Mumme?" Herr Staar darauf: "Jetzt nicht. Ich zeig ihm erst meine Nürnberger Kupferstiche."

Dritte Szene
Frau Staar. Frau Brendel. Frau Morgenrot.
Ein durchgängiges dramaturgisches Mittel in Kotzebues Komödie, einerseits komisch, andererseits Spannung erzeugend, ist die Art und Weise, in der die Beteiligten über die Personen herfallen, die gerade die Szene verlassen haben. Während die drei Muhmen in der Vorgänger-Szene gar nicht fertig wurden mit den Lobpreisungen über Herrn Olmers, machen sie ihn hier aus den nichtigsten Anlässen gnadenlos nieder, weil er ihnen nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet habe: "Mich hat er kaum angesehn." (Brendel). "Mit mir hat er kein Wort gesprochen." (Morgenrot)." Mein Sohn hat ihm deutlich genug gesagt: Frau Untersteuereinnehmerin; und dennoch hat er mich recht unverschämterweise zur Madam gemacht." (Staar).
Ein weiteres bewährtes Mittel der Dramaturgie des 19. Jahrhunderts ist die Verwechslung.
Frau Staar identifiziert Herrn Olmers als die Person auf dem Amulett, das sie an Sabines Garderobe entdeckt hat. Um sich vor ihrer Großmutter nicht bloßzustellen, gab Sabine damals vor, bei dem Mann handele es sich um den König, den sie aus lauter Verehrung seit ihrem Aufenthalt in der Residenzstadt als Bild um den Hals trage. Natürlich ist Frau Staar jetzt überzeugt, der König statte ihrer Stadt einen Inkognito-Besuch ab. Folgerichtig sind alle drei Damen einer theatralischen Ohnmacht nahe.

Vierte Szene
Frau Staar
Monolog der Frau Staar, der der Schreck, dass der König angeblich in ihrem Hause übernachtet, immer noch in den Gliedern steckt. Sie "will reden", das große Geheimnis in der ganzen Gemeinde bekannt machen und natürlich ihren Repräsentationspflichten nachkommen.

Fünfte Szene

Bürgermeister. Herr Staar. Sperling. Frau Staar.
Der seelische Zustand von Frau Staar setzt sich auch in dieser Szene fort, diesmal in Anwesenheit der anderen Personen. Sie enthüllt das von ihr entdeckte angebliche Geheimnis und stürzt damit auch ihre Umgebung von einer Verlegenheit in die andere. Als "Beweis" führt sie an, dass sie auf dem Portrait, das sie von Sabine hat, den König erkannt habe; schließlich ähnele dieser seinem Großvater, den sie, die Großmutter, vor vierzig Jahren mit eigenen  Augen gesehen habe.
Sogleich richtet sich die Aufmerksamkeit der anwesenden Männer auf den prunkvollen Empfang, der auszurichten sei. Es müsse z.B. "die Bürgerwache mit der alten Trommel aufziehn", " die Schützenkompanie mit der Fahne", " der Magistrat mit den Waisenkindern". " So muss mit allen Glocken geläutet werden, dass die Bürger zusammenlaufen", " eine Ehrenwache muss gleich vor das Haus."

Sechste Szene

Olmers. Vorige.

Gesteigert wird die Verwirrung der Beteiligten nur noch durch ihre unmittelbare Begegnung mit dem angeblichen König, als nämlich Olmers auf der Szene erscheint. Wie sollte der auch unbeeindruckt bleiben, wenn er von Frau Staar mit "Gesalbter des Herrn" angesprochen wird?  

 

Siebente Szene

Die Magd. Vorige.

Als die Bewohner der Stadt immer weitermachen mit den Ergebenheitsadressen und auf einem pompösen Empfang durch "Deputierte von der Schützengilde" beharren, rechtfertigt sich Olmers mit dem Hinweis "Ich bin ja ebenso wenig eine Majestät als Ihr Nachtwächter." Doch der Bürgermeister verweist auf das bewusste Porträt, das zu allem Unglück natürlich von Olmers tatsächlich als sein eigenes anerkannt werden muss. Sein einziges Ziel bleibt nach wie vor, das Herz der geliebten Sabine zu erobern ("König bin ich wahrlich nicht! zu herrschen begehr ich nirgends, als nur in einem Herzen. Erlang ich aber diesen Wunsch, so beneid ich auch keinen König.")

 

Achte Szene

Frau Staar. Der Bürgermeister. Herr Staar. Sperling. Sabine.

Hier fühlt sich Sabine genötigt, wenigstens mit einem Teil der Wahrheit herauszurücken, ohne jedoch das enorme Missverständnis restlos aufklären zu können bzw. zu wollen. Sie gibt zu, das Amulett, das sie bei ihrem Besuch in der Residenz im hohen Gras gefunden habe, der Großmutter ausgehändigt und erst aus der Zeitung vom gleichen Tag erfahren zu haben, dass es den König abbildet. Leider kann Frau Staar diese Angaben nicht nachprüfen, weil, wie hier nachzulesen, die anwesenden Schulkinder ausgerechnet diese Stelle in der Zeitung mit ihrem Butterbrot bekleckert haben. Die übrigen Personen sind überwiegend mit ihren eigenen Interessen beschäftigt: Sperling will sich "malen lassen", um Sabine in Form eines Amuletts nahe zu sein, die anderen wollen den Schaden, der in der Stadt durch den falschen König und für ihr eigenes Renommée entstanden ist, möglichst gering halten.

Neunte Szene

Sperling und Sabine.
Diese Szene lebt von der Peinlichkeit Sperlings, der sich Sabine zu Füßen wirft, obwohl diese nicht das Geringste von ihm wissen will.

Zehnte Szene

Olmers. Vorige.
Zu Beginn diese recht umfang- und textreichen Szene offenbart Sabine Olmers ihre Liebe, ihre Enttäuschung über die lange Trennung und lässt Sperling in dem Glauben, er sei gemeint. Erst allmählich begreift auch Olmers den verschlüsselten Sinn ihrer Worte. Sabine drängt Olmers, sich ihrem Vater zu erklären, weil sie sonst schon am folgenden Tag mit Sperling verlobt werde.

[1] Niederlassungen



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