Dienstag, 15. Dezember 2015

August von Kotzebue: Die deutschen Kleinstädter (4)


Vierter Akt


Die Straße vor dem Hause des Bürgermeisters. Dem gegenüber das Haus seines Bruders, von mehrern Stockwerken; in der Dachstube Sperlings Wohnung. Vor diesem letztern Hause steht ein Laternenpfahl mit einer Laterne, die aber nicht brennt. Es ist Nacht, doch sieht man noch Licht in beiden Häusern.[1]

Erste Szene

Olmers monologisiert über seinen ersten Tag in Krähwinkel und bedauert, dass er zwar allen Klatsch und Tratsch der Stadt gehört, aber keine Minute allein mit seiner Geliebten verbracht habe. Umso mehr hofft er auf das mit Hilfe von Sperling eingefädelte Rendezvous mit Sabine.



Zweite Szene

Sabine und Olmers.

Olmers bedrängt Sabine in einem kurzen Geplänkel, mit ihm auf die Stube zu kommen. Sabine jedoch weiß sich in guter Obhut ihrer eigenen Sittsamkeit und durch die Nähe der dörflichen Gemeinschaft. Zum ersten Mal hat sie Gelegenheit, ihren Geliebten mit all den Vorurteilen aus Dorf und Verwandtschaft zu konfrontieren, die ihr natürlich nicht verborgen geblieben sind. Vor allem das Fehlen eines Titels sei momentan noch das Haupthindernis einer Verbindung zwischen beiden ("Herr, ohne Titel bekommen Sie mich nicht.")

Die traute Zweisamkeit der beiden wird zunächst durch Sperling gestört, der sich herbeilässt, ein Liebessonett auf Sabine aus seinem Kammerfenster auf die Gasse zu singen, wo soeben der Nachtwächter passiert, ohne darauf Rücksicht zu nehmen.



Vierte Szene

Der Nachtwächter. Die Vorigen.

Lustige Auseinandersetzung zwischen dem verliebten Sperling und dem auf stur gebürsteten Nachtwächter.

Fünfte Szene

Frau Staar am Fenster. Vorige.

Alle reden durcheinander, Frau Staar beschwert sich über den Lärm auf der Gasse, Sperling über den Störenfried und der Nachtwächter zieht sich grummelnd zurück.

 


Sechste Szene

Herr Staar am Fenster. Vorige.

Sperling, Frau und Herr Staar äußern sich wechselweise abfällig über Sabine und Olmers, was diese in ihrem Versteck hören können und sich deswegen gegenseitig zu necken anfangen, weil sie dies eher als Auszeichnung denn als Herabwürdigung empfinden. Olmers wird wahlweise als      "Avanturier aus der Residenz", "Landstreicher", "fremde Unverschämtheit"   mit " philosophischen Floskeln"  verunglimpft, was seine Geliebte stets mit dem Hinweis quittiert, dass er auch tatsächlich gemeint sei. Andererseits bezeichnen ihre eigenen Verwandten Sabine als "Jungfer Naseweis", die mit ihrer "Sittsamkeit" prahle und sich viel auf ihr "Lärvchen" einbilde, was Olmers jedes Mal zu einem neckischen "Das sind Sie" verleitet.



Siebente Szene

Olmers und Sabine.

Hier treffen erneut die strenge Sittsamkeit des Mädchens und der etwas losere Charakter des Residenzbewohners aufeinander. Olmers will Sabine zu einem Spaziergang überreden, was diese ablehnt ("…so meint der Herr nun gleich, er dürfe mit mir lustwandeln in die weite Welt.") und ihm gleich einen resoluten Vorgeschmack auf die zu erwartende Ehe verschafft ("Morgen rücken Sie nur fein früh mit dem Titel heraus und befolgen meine übrigen Vorschriften pünktlich.").



Achte Szene

Klaus, der Ratsdiener, mit einer Blendlaterne. Vorige.

Das Paar muss sich erneut verstecken; diesmal vor dem blinden Ratsdiener Klaus, der dem Bürgermeister die schlimme Nachricht überbringt, die bewusste Delinquentin, wie erwähnt ebenfalls als eine Hauptperson für den kommenden Tag ausersehen, sei in der Nacht geflohen. Bürgermeister wie Ratsdiener sind völlig entsetzt darüber, Herr Staar wegen der Reputation seiner Gemeinde ("schon winkt der Pranger zu Ehr' und Ruhm des Hochweisen Stadtrates "), der Diener  wegen der Verpflegung, die die Magd aus seiner Vorratskammer hat mitgehen lassen ("Undankbares Mensch! Neun Jahr ist sie gefüttert worden."). Nur Eines ist klar, dass nämlich "die Sache verschwiegen traktiert werden (muss)."



Neunte Szene

Bürgermeister im brokatnen Schlafrock. Vorige.

Diese Szene steht ganz im Zeichen der mündlichen Erzählung des Verlaufs der vergangenen Nacht im Hause des Gemeindedieners Klaus, das als Behelfsgefängnis gedient hat, und der Flucht der so lange eingekerkerten Magd. Der Diener verdankt die ganze Sache dem unruhigen Schlaf seiner Frau, die durch die Fluchtgeräusche der Magd geweckt worden war. Als Klaus nachschaute, war die Magd mitsamt einiger Lebensmittel aus der Speisekammer verschwunden. Der Bürgermeister ist darob so erzürnt, dass er die Magd auf dem Scheiterhaufen verbrennen lassen will; selbstredend in strenger Gesetztestreue und ohne finanziellen Aufwand ("Eine Hexe! sie muss verbrannt werden! ich mache einen Bericht an die Kammer – der Oberförster muss herrschaftliches Holz zum Scheiterhaufen liefern."). Die Entflohene hat zur eigenen Belustigung einen Zettel hinterlassen, auf dem sie "dem Herrn Vizekirchenvorsteher" für ihre Befreiung" dankt. Dieser nämlich habe sie uneigennützig im Gefängnis mit einschlägiger Literatur, u.a. mit "Trencks Leben und Flucht aus dem Gefängnisse", versorgt. Der ganze Frust über das entgangene Pranger-Event entlädt sich damit über dem Bruder des Bürgermeisters. " Gott sei Dank, so halten wir uns an den", wie sich Klaus, der Diener, auszudrücken pflegt.



Zehnte Szene

Herr Staar im Nachthabit. Vorige.

Diese komplette Szene steht im Zeichen der Vorwürfe, die der Bürgermeister seinem Bruder macht. Wegen des Aufruhrs auf der Gasse wird auch Sperling herbeigelockt und gesellt sich zu den Anwesenden.



Eilfte Szene


Sperling im Nachthabit. Vorige.

Allerdings glaubt Sperling, seine Angebetete Sabine gelte als vermisst, und hat auch gleich einen als Entführer Verdächtigten, nämlich Olmers parat. Es dauert eine Weile, bis der wahre Sachverhalt bei ihm angekommen ist. Signifikant wird dabei die Vordergründigkeit der Beziehungen der Kleinstädter zueinander. Auch Familienbande spielen dabei keine Rolle. Klaus, der Nachtwächter, ist ohnehin nur an seinen "Schinken und Würsten" interessiert; der Bürgermeister verdächtigt seinen Bruder der Beilhilfe zur Flucht ("Der Herr Bruder hat ihr durchgeholfen."); und Sperling sieht so gut wie alle seine Felle davonschwimmen: die Verlobung, seinen Auftritt als Stadtpoet, das Pranger-Event. Außerdem sorgt man sich gemeinsam um den guten Ruf der Stadt im Hinblick auf den Spott der Nachbargemeinde ("Die Rummelsburger lachen sich todt.") und hat große Angst vor der gewiss ungnädigen Reaktion aus der Residenzstadt ("…was wird man in der Residenz dazu sagen? - Der Minister wird außer sich sein - Der König in Zorn gerathen."). Gnadenlos machen sich auch die beiden Staar-Brüder gegenseitig nieder ("Der Herr Bruder wird abgesetzt." – "Und der Herr Bruder kömmt ins Zuchthaus."), weil sie sich die Schuld am Organisationsversagen wechselseitig in die Schuhe schieben möchten.

In der Hitze der Wortgefechte entdeckt Klaus, der Nachtwächter, per Zufall Sabine und Olmers im Halbdunkel einer Laterne. Olmers, der den gesamten Streit um die entflohene Magd mitgehört hat, packt die Gelegenheit beim Schopfe, gesteht den Anwesenden seine Liebe zu Sabine und verleiht der Sache dadurch Nachdruck, dass er sich auf der Basis seiner Beziehungen zur Residenzstadt als Vermittler und Fürsprecher anbietet.



Zwölfte Szene


Frau Staar im Nachthabit. Vorige

Frau Staar ist zunächst pflichtgemäß entsetzt über das nächtliche Treiben ihrer Enkelin, lässt sich aber von der Aussicht auf einen guten Ausgang und vor allem vom Titel des Herrn Olmers ("Geheimer Commissionsrath ") zur Abkehr von ihrer Meinung bewegen.

Das Schlusswort bleibt Sperling vorbehalten, der am Ende die Bühnenillusion durchbricht und sich verzweifelt an das Publikum wendet: " Ist denn Keiner, der sich herauf bemühen möchte, mein Triolett zu hören?"




[1] Die Häuser müssen herauswärts, gleich an die erste oder zweite Kulisse gebaut sein, so dass die Bühne dadurch etwas verengt wird und die aus den Fenstern Schauenden von dem Zuschauer en face gesehen werden. Der Laternenpfahl kann sodann etwas mehr zurückstehn

[Weiter] 

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